In dem Projekt BodenschätzeN geht es um unser Verhältnis zu Boden. Boden ist nicht einfach eine Summe aus chemischen Molekülen, die mehr oder weniger als Ressource für die Landwirtschaft geeignet ist, sondern ist tief in unserer abendländischen Kultur verankert. Boden, Humus, oder – fast peinlich – Mutterboden ist der mythologische Ur-Stoff unserer Herkunft. Dass das Brot, das wir zuallermeist im Supermarkt kaufen, nicht aus Zement und Plastik sondern aus Boden hervorgegangen ist und von uns letztlich dorthin zurückgegeben wird, ist für viele ein erlerntes Wissen jenseits ihrer Erfahrung. Die Kompoststation im Prinzessinnengarten Neukölln befindet sich auf einem Friedhof, dem „neuen St. Jacobi Friedhof“ in Neukölln, der neben alten Grabstätten auch eine Ackerfläche und mehrere Gartenprojekte beherbergt. Kein Ort in der Metropole könnte besser geeignet sein, um unser Verhältnis zu Boden zum Gegenstand praktischer Erfahrung und gemeinsamen Nachdenkens zu machen.

Wir haben mehrere Künstler und Künstlerinnen eingeladen, Kunstwerke für die Kompoststation zu fertigen, in denen Boden zum Gegenstand der Reflexion werden kann.

Portraits

Matthias Fritsch

Matthias Fritsch ist Filmemacher, versteht sich auf visuelle Installationen und beschäftigt sich seit Jahren mit Stoffkreisläufen und biologischen Prozessen. Im Wortsinne ist er Lebenskünstler und bemüht sich mit radikaler Konsequenz darum seine gedanklichen Schlüsse in die alltägliche Praxis zu integrieren.

Soil Farmers (2018)

Since 2020, I have been investing much of my work in building a large forest garden near Berlin. Besides this I experiment with every days practices which I hope can work for everybody. My goal is to find a lifestyle that decreases the individual environmental impact. Also I want to find a way to keep nutrients in cities. Since most people all over the world live in cities, why not start building up fertile soil in urban areas, grow more food in cities and shorten the transport?!

Für die Kompoststation wird Matthias Fritsch einen Wurm-Parcours bauen, der alle bekannten indoor  Kompostiermethoden gleichzeitig enthält: Etagenkompost, Bokashi, Beet-Kompost-Kreislauf… Aus jeder Kompostiermethode geht ein anderer Boden hervor. Die Würmer und Bodenlebewesen werden sich aussuchen können, wo sie gerade am liebsten speisen wollen.

Website: Matthias Fritsch

Gaby Taplick

Durchdringung (2021)

Gaby Taplick ist bildende Künstlerin und leidenschaftliche Sammlerin. Hier eine Theaterlatte, dort drei Bohlen und etliche Schrankreste, Schubladen und Türen – wenn man die Augen aufmacht und die Phantasie nur ausreicht, so findet man ganze Häuser, Nymphenschaukeln und Gedankenschlösser auf der Straße, hinter der Bank oder in einem Gestrüpp. Gaby Taplick versteht es, in einer leeren Halle eine Stadt zu errichten, die an die Stadt der Unsterblichen von Jorge Luis Borges erinnert, oder aus alten Möbeln eine Arche Noa für unsere spielerische Neugier zu zimmern.

Für unsere Kompoststation wird sie einen Antwortcontainer bauen, in dem Ihr Fragen rund um das Thema Boden und Kompost finden werdet, auf die Ihr noch nicht gekommen seid, und Antworten auf Kompost-Fragen, die Ihr schon lange mit Euch herumtragt.

Website: Gaby Taplick

Ellen Lyn Harting (Sundew)

Sinneswandeln (2021/22)

Die Kunstwerke von Ellen Lyn Harting (Sundew) knüpfen an einen schillernden Faden in der jüngeren Geschichte an, der zugleich wild und faszinierend ist. Hervorgegangen ist dieser Faden aus der Entwicklung der 1960er und 1970er Jahre, in der indigene mit psychedelischer Erfahrung, Technologiefasziniertheit, Festival- und Musikkultur, Grenzgängertum und Gesellschaftskritik verknüpft wurden. Manch einer wird an die Fusion denken, andere an Gestalten aus dem Fantasy oder Science Fiction. Sundew präsentiert uns Lichtgestalten, freundliche Androide in Form von Gemälden, Installationen und mit heißer Flamme geschweißten Skulpturen.

Für viele Menschen ist die unsichtbare, zuweilen sogar fluoreszierende Untergrund-Welt des Bodens ähnlich faszinierend und anregend. Wir freuen uns sehr, dass sie sich bereit erklärt hat, einige Bodentiere als Skulpturen für uns zu fertigen.

Website: Magic Art Space und Sinneswandeln

Kimberly Brooke Meenan

Kimberly Brooke Meenan ist eine Installations-Künstlerin, die seit vielen Jahren in Berlin lebt und sich inhaltlich und künstlerisch mit unserem Verhältnis zu Natur auseinandersetzt. Sie hat uns eine Beschreibung ihres Vorhabens für die Kompoststation zugeschickt, die wir unbedingt zitieren wollen:

Sie würden sich wundern, wie sehr die Menschen ihren Körper hassen. Durch meine Arbeit, bei der ich Menschen in Skulpturen gegossen habe, bin ich ständig von dem negativen Selbstbild der Menschen überwältigt. Deshalb möchte ich eine Kunstwerkserie machen, die sich mit diesem Thema befasst. Ich möchte einige der Teile, die die Menschen an sich selbst nicht mögen, abformen und sie in eine Art Wunsch verwandeln, indem ich Samenträger-Figuren erschaffe.


Ich möchte temporäre Kunstwerke an zugänglichen Orten in Neukölln platzieren und eine Online-Karte erstellen, über die sie gefunden werden können. An jedem Kunstwerk wird eine kleine Tafel mit einem QR-Code angebracht, auf der sich eine Karte mit den anderen Standorten auf einer Webseite öffnet, die das Projekt erklärt, und auf der die Veränderungen des Körpers der Skulptur dokumentiert werden und online eingesehen werden können.


Derzeit arbeite ich an neuen Techniken zur Herstellung von Gussformen aus gefundenen Materialen, die den Körper als Aufzeichnung von Ehrlichkeit und Unzufriedenheit nutzen. Die Skulpturen gieße ich aus einem Material, dessen Hauptbestandteil selbst gesammelter „Dreck“ Berliner Straßen ist. Er wird mit Bindemitteln, Ton und Pflanzensamen vermischt. So entstehen „Samenträger” in menschlicher Gestalt, die sich während des Ausstellungszeitraums verändern werden.

Website: Kimberly Brooke Meenan

Ereignisse

Kriminalgeschichte einer Skulptur

Über einige Wochen war die Künstlerin Kimberley Brooke Meenan bei uns und wir haben gemeinsam unsere Komposterde mit Ton, Hanffasern, Pflanzensamen und Wasser gemischt und zu Kugeln geformt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viel Ton wichtig ist, damit die Kugeln nicht so austrocknen und auch Wochen später noch gut formbar sind. Weil in unserer Komposterde noch viele Kompostwürmer war hat das Aussortieren ganz schön lange gedauert! Nach einiger Zeit haben wir aber gemerkt, dass sie es auch selbst aus den Kugeln schaffen und auch Wochen später noch fit waren – was für Überlebenskünstler!

Brooke hat dann eine Gipsform von einer echen Person mitgebracht, die wir erst mit einer Schicht unserer Mischung ausgekleidet haben. Das war wichtig, da diese Schicht ja zu sehen ist und wir auch alle Einzelheiten wie Zehen und auch Hautstruktur möglichst exakt übernehmen wollten. Erst dann wurden die Kugeln darauf platziert und angedrückt. Wir haben auch Radieschensamen mit reingepackt, damit die Skulptur mit der Zeit bewachsen ist.
Dann ging es los die Skulptur auf unseren ausgesuchten Platz neben unserem Staudenbeet zu stülpen. Das Gewicht kann man schnell unterschätzen, sie war so schwer dass vier Menschen mit anpacken mussten.

Leider haben wir unterschätzt, was die Position mit der Form auf einem Friedhof ausmacht und für Assoziationen hervorruft. Das hätten wir besser wissen müssen. In den kommenden Wochen beobachteten wir, wie die Form erst mit Nadelzweigen abgedeckt und am Ende ganz in Stücke zerteilt wurde. Diese Reaktion und im Grunde sogar den Vandalismus haben wir nicht erwartet. Wir hatten viele Gespräche mit Teilnehmenden unserer Kompost-Nachmittage und auch vorbeilaufenden Besuchenden; die Reaktionen gingen von einem Spektrum ins andere.

Letztendlich haben wir uns dann dazu entschieden, die Skulptur wieder aufzubauen, aber dabei den Winkel zu ändern und ein Infoschild mit anzubringen, auf dem wir über unsere Intention aufklären.

Seitdem ist sie auch unverletzt geblieben und wir beobachten gespannt, wie die Radischen aus ihr wachsen. Wenn sie voller Pflanzen ist, wird sie auch noch einmal ein ganz anderes Bild abgeben. Wenn ihr Lust habt kommt doch einmal vorbei und seht sie euch live an. Dienstags sind wir immer von 15-19 Uhr während unseres Kompost-Nachmittags da, wir freuen uns auf euer Feedback und eure Meinungen.

Kimchi Aktion und Vernissage

Am ersten Oktobersonntag wird vielerorts traditionell das Erntedankfest zelebriert. Ein Fest, das in vielen Kulturen bekannt ist, weil es mit einer Zeitenwende verbunden ist: die Felder wurden zu großen Teilen abgeerntet und nun können die Speicher und Vorratskammern gefüllt werden. In Korea ist der Herbst eine Zeit, in der Dörfer und Familien traditionell zusammenkamen um gemeinsam in großem Stile Kimchi – eine Art von Sauerkraut – anzufertigen. Auch in Deutschland war es in früheren Tagen üblich, Sauerkraut zu machen oder Äpfel und anderes Obst zur Mosterei zu bringen und die Gärbottiche frisch aufzufüllen. Auch für die Ackerkrume, den Boden handelt es sich um eine Wendezeit. Bestenfalls werden Ernterückstände zurückgelassen und bilden eine Mulchdecke, die bis zum nächsten Frühjahr die Bodenlebewesen und verbliebenen Pflanzen vor Kälte schützt und verkompostieren kann. Für unsere Kompoststation bedeutet der heranbrechende Herbst, dass wir die Laubkomposte fertigstellen, dass wir die bestehenden Komposte noch einmal umsetzen können und alles winterfest machen, während wir schon auf ein ereignisreiches Jahr zurückblicken können.

Mit einem gemeinsamen Fest haben wir diese Facetten des Erntedanks feiern wollen. Wir haben die Denkwerkstadt Nahrungswandel eingeladen, mit uns einen Kimchi-Workshop zu machen und uns zu zeigen, wie wir gemeinsam mit vielen anderen ein gesundes und köstliches Kimche selbst herstellen können. Die Freunde von Pilzwende haben einen großen Topf Suppe gekocht, den wir gemeinsam verspeist haben. Und wir haben gemeinsam mit den Künstler:innen die Kunstwerke gefeiert, die im Laufe des Jahres auf der Kompoststation entstanden sind.

 

Gaby Taplick und die FAQ-Box

Wurmparcours (links) und FAQ-Box

Kimberly Brooke Meenan hat eine lebensgroße Skulptur aus Kompost, Hanfseil, Ton und Radischensamen geschaffen, die einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen und für Anlass zu Debatten und Nachdenken geliefert hatte. Matthias Fritsch hat einen Wurmparcours gebaut, der sämtliche Kompostverfahren, die man auf kleinem Raum und sogar in einer Wohnung oder auf einem Balkon praktizieren kann, vereint. Wir sind gespannt, wo sich die Würmer unter welchen Fütterungsbedingungen gerade am liebsten aufhalten werden! Gaby Taplick hat eine FAQ-Kiste aus Holz gefertigt, mit verschiedenen Fächern, die auf phantasievolle Weise angeordnet Groß und Klein dazu einladen, in ihnen herumzustöbern und in den Kärtchen herumzublättern, auf denen Fragen und Antworten rund um‘s Thema Kompost und Boden zu finden sind. Ellen Lyn Harting (Magic Art Space und Projekt Sinneswandeln) ist gerade noch dabei, zwei Bodentiere als Metallskulpturen anzufertigen und bei uns auf der Kompoststation aufzustellen.

All diese Künstler:innen und ihre Kunstwerke haben wir bei Wein und Limo gewürdigt und gefeiert und uns gefreut, dass sie uns mit neuen, teilweise überraschenden und phantasievollen Einblicken in die Welt des Bodens und Komposts, der Mikroorganismen und Kleinstlebewesen beschenkt haben.

Trotz eines Regengusses, haben wir uns nicht davon abbringen lassen, vergnüglich zusammenzsitzen und die Zeitenwende zum Herbst gut willkommen geheißen zu haben. Die Kunstwerke und unsere Kompoststation könnt Ihr jederzeit gerne besichtigen oder auch bei unseren vielfältigen Aktivitäten mitmachen und mitlernen!